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Gesundes-Herz-Gesetz: Abgesang auf die evidenzbasierte Medizin

Der Referentenentwurf zum geplanten Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit („Gesundes-Herz-Gesetz“) wird seinem Titel nicht gerecht. Statt echter Prävention zielt der Entwurf vor allem auf nicht-evidenzbasierte Screening-Maßnahmen und verstärkte Medikalisierung ab. Die komplexe Aufgabe einer nachhaltig wirksamen Prävention bleibt unbearbeitet. Besonders problematisch ist außerdem, dass die Leistungsausweitung per Gesetz festgelegt und nicht wie bisher über den G-BA ermittelt werden soll. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) erhebt Einspruch.

Seit Mitte Juni liegt der Referentenentwurf für das „Gesunde-Herz-Gesetz“ (GHG) vor. Im Entwurf sind weitere Check-ups und Screenings sowie eine deutliche Ausweitung der medikamentösen Prävention vorgesehen. Wichtige Grundregeln der evidenzbasierten Medizin werden ausgehebelt. Seitdem reißen die kritischen Stimmen nicht ab. Auch die DEGAM lehnt die Pläne mit ihrer heute beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) abgegebenen Stellungnahme klar ab.

„Dieses Gesetz ist in der geplanten Form ein Skandal“, kommentiert Prof. Martin Scherer, Präsident der DEGAM. „Die Grundlagen der evidenzbasierten Medizin, für die sich auch unsere Fachgesellschaft seit Jahrzehnten einsetzt, werden gleich doppelt ignoriert: Zum einen ist der Nutzen von allgemeinen Gesundheitsuntersuchungen, die ausgeweitet werden sollen, nach wie vor unklar. Zum anderen sollen Leistungen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung – hier die Verordnung von Statinen aufgrund von gesetzlich festgelegten Risikoschwellen – nicht mehr auf Basis einer systematischen Bewertung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt werden. Stattdessen soll die Entscheidung zur Leistungsauswertung per Gesetz erfolgen. Aber was passiert zum Beispiel, wenn es neue Evidenz gibt? Oder was, wenn sich die politischen Machtverhältnisse ändern? Werden dann wieder andere Grenzwerte festgesetzt? Dieser Entwurf ist ein einziges Trauerspiel für die evidenzbasierte Medizin.“

In den Prozess der Gesetzesentwicklung hat sich die DEGAM seit Monaten im Rahmen von Anhörungen und Stellungahmen intensiv eingebracht. Nichts von dieser Expertise findet sich im Referentenentwurf wieder. Die DEGAM hat frühzeitig davor gewarnt, die Verhältnisprävention zu vernachlässigen. Dabei spielen Lebensstilfaktoren und damit die Primärprävention gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (KHK) eine entscheidende Rolle, was im Gesetzesentwurf auch einleitend festgestellt wird. Allerdings zieht das BMG die falschen Schlüsse. Denn statt wirksamer Angebote zur Primärprävention setzt das BMG auf mehr Früherkennung und auf eine Senkung der Lipidwerte, so dass Millionen Menschen mehr Medikamente nehmen werden.

„Für die Allgemeinmedizin gilt aber: Wir konzentrieren uns nicht nur auf die Lipide, sondern behandeln immer das Gesamtrisiko für ein kardiovaskuläres Ereignis“, so Martin Scherer weiter. Auch die Pläne zur Ausweitung der Früherkennung können bestenfalls als umstritten bezeichnet werden: Weder bei Kindern noch bei Erwachsenen gibt es für ein zusätzliches Screening eine klare Evidenz für den Nutzen. „Das Problem bei diesen Maßnahmen ist auch, dass sie die ohnehin knappen finanziellen und personellen Ressourcen binden, die dann für dringendere und effizientere Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen. Ein klassischer Fall von Über- und Fehlversorgung – und das, wo die primärärztlichen Praxen sowieso schon seit Jahren am Limit arbeiten“, macht Martin Scherer deutlich.

Für die DEGAM ist klar: Es wäre viel sinnvoller, die Anstrengungen auf die Verhältnisprävention zu richten. Obwohl schon lange bekannt ist, dass sozial Benachteiligte ein überdurchschnittlich hohes Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis (z.B. Herzinfarkt) haben, macht das BMG keine Vorschläge, wie gerade die Gruppen mit hohne Gesundheitsrisiken in ihren Lebenswelten unterstützt werden können. Ein wichtiger Baustein wären zum Beispiel Hausarztzentrierte Modelle, da in der hausärztlichen Praxis alle sozialen Gruppen zusammenkommen. Auch von diesem Aspekt findet sich im Gesetzesentwurf nichts.

„Deutschland muss in der Verhältnisprävention endlich aufholen. Länder, die stärker auf Public-Health-Konzepte setzen, machen uns schon lange vor, wie das aussehen kann: Besteuerung zuckerhaltiger Getränke, Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel und Tabak (Deutschland hat den höchsten Raucher-Anteil in Westeuropa!), mehr Hilfe beim Suchtentzug, verringerte Verfügbarkeit von hochprozentigem Alkohol, mehr Schul- und Breitensport, mehr Schwimmbäder, gesundes Kita- und Schulessen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Natürlich kann das BMG diese komplexen Aufgaben nicht allein umsetzen, aber dieser Weg wäre definitiv der richtige“, so Martin Scherer abschließend.

Zur Stellungnahme der DEGAM:

https://www.degam.de/files/inhalt/pdf/positionspapiere_stellungnahmen/positionspapier_neues_verzeichnis/20240709_sn_degam_ghg.pdf

Plötzlich bewusstlos? Bei Herzstillstand mit Herzdruckmassage Leben retten

Jederzeit kann es passieren – zu Hause, am Arbeitsplatz oder auch auf dem Fußballplatz: Jemand bricht plötzlich zusammen, liegt bewusstlos am Boden und atmet nicht mehr: Herzstillstand! Die Bilder des EM-Spiels im Jahr 2021 zwischen Finnland und Dänemark, in dem der dänische Fußballspieler Christian Eriksen erfolgreich wiederbelebt werden konnte, gingen um die Welt. Heute steht er wieder im Nationalteam. Der Fall Eriksen hat gezeigt, wie lebensentscheidend richtiges und schnelles Handeln im Notfall ist. „Ohne unverzügliche Wiederbelebungsmaßnahmen endet ein Herzstillstand tödlich“, warnt Herzspezialist Professor Dr. med. Heribert Schunkert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. „Sofort muss nach Erkennen eines Herzstillstandes der Notarzt mit der Notrufnummer 112 alarmiert und die Herzdruckmassage begonnen werden. Denn mit jeder Minute, die bis zur Wiederbelebung verstreicht, verringert sich die Überlebenswahrscheinlichkeit um etwa zehn Prozent“, betont Schunkert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am Deutschen Herzzentrum München. Auch im Rahmen von Massen-Events wie Fußball-EM oder Konzerten kann es passieren, dass Zuschauer im Stadion oder beim Public Viewing Zeuge eines Herzstillstands werden und sofort handeln müssen. Jeder sollte daher die vier Schritte der Wiederbelebung (Prüfen, Rufen, Drücken, Schocken) unter www.herzstiftung.de/wiederbelebung kennen.

Jedes Jahr fallen dem plötzlichen Herztod in Deutschland ca. 65.000 Menschen zum Opfer. Er ist die Folge einer bösartigen Herzrhythmusstörung (zumeist Kammerflimmern), die innerhalb weniger Sekunden zum Herzstillstand führt.

Jede Minute zählt! – Sofortige Herzdruckmassage für das Überleben essenziell „Je schneller mit der Wiederbelebung durch Herzdruckmassage begonnen wird, desto größer ist die Chance, dass der Patient überlebt“, hebt Prof. Schunkert hervor. Als Taktgeber für die richtige Frequenz beim Drücken dienen Pop-Hits wie „Stayin‘ Alive“ der Bee Gees. Ein Rettungswagen braucht bis zum Notfallort im Durchschnitt neun Minuten. Bis dahin dient die Herzdruckmassage zum Überbrücken der Blutzirkulation, um vor allem das Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen. „Wird jedoch mit Wiederbelebungsmaßnahmen gewartet, bis der Rettungsdienst mit dem Notarzt da ist, dann bedeutet das für Betroffene nach wenigen Minuten den Tod oder ein Leben mit meist schwersten bleibenden Hirnschädigungen“, warnt der Herzstiftungs-Vize-Vorsitzende. Helfer vor Ort – häufig sind es Angehörige, Freunde oder Personen aus dem näheren Umfeld der Betroffenen - müssen daher unmittelbar nach Absetzen des Notrufs 112 mit Wiederbelebungsmaßnahmen loslegen:  Das heißt nach Prüfen und Rufen (112) sind die Schritte Drücken und Schocken (AED) durchzuführen. „Auch bei beobachtetem Herzstillstand in Nähe eines Stadions oder beim Public Viewing, wo meistens Rettungsdienste vor Ort präsent sind, müssen Ersthelfer sicherstellen, dass nach Absetzen der 112 ein Ersthelfer sofort die Herzdruckmassage durchführt, während eine andere Person medizinische Hilfe holt.“

Die vier Schritte der Reanimation im Video „Prüfen, Rufen, Drücken, Schocken – und ein Leben retten!“ sind unter www.herzstiftung.de/herzwochen-videos oder auf www.herzstiftung.de/wiederbelebung abrufbar.

Warum alleinige Herzdruckmassage ohne Atemspende? Grund für das Nichtstun von Ersthelfern bei beobachtetem Herzstillstand ist oftmals die zusätzliche Atemspende. Viele lähmt im Ausnahmezustand die Komplexität und der noch nähere körperliche Kontakt, neben der Herzdruckmassage zusätzlich die Atemspende anwenden zu müssen. „Diese Verunsicherung kann bei Ersthelfern dazu führen, dass sie aus Angst vor Fehlern gar nichts mehr unternehmen“, erklärt der stellvertretende Herzstiftungs-Vorsitzende Schunkert und betont: „Wir raten Laien in der Erstversorgung zur alleinigen Herzdruckmassage.“ Die Atemspende sollte nur von regelmäßig medizinisch geschulten Personen, die die einzelnen Schritte sicher beherrschen, angewendet werden (zum Beispiel Rettungssanitäter).

Studien haben zudem gezeigt, dass eine Unterbrechung der Herzdruckmassage z. B. durch eine Atemspende ungünstig ist (1, 2). Es ist nicht der Sauerstoff, der dem Körper in den ersten Minuten nach einem Herzstillstand fehlt. Es ist der fehlende Blutfluss, so dass der Sauerstoff nicht zum Gehirn transportiert werden kann. Nur durch das Durchführen der Herzdruckmassage für die erforderlichen Thoraxkompressionen wird der Blutfluss im Körper künstlich aufrechterhalten, um Sauerstoff zum Gehirn zu transportieren. „Auch bei der alleinigen Herzdruckmassage ist ausreichend Sauerstoff im Blut. Durch die passive Lungenbewegung während der Herzdruckmassage kommt es zu einem minimalen Beatmungseffekt“, erklärt Schunkert. So könne die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes ohne Beatmung überbrückt werden.

Cholesterinsenker Statine: Was tun bei Beschwerden?

Ein hoher Cholesterinspiegel zählt zu den größten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Insbesondere hohe Werte des LDL (LDL=Low Density Lipoprotein)-Cholesterins (LDL-C) sind kennzeichnend für dieses Risiko. Statine sind Cholesterinsenker erster Wahl, wenn es darum geht, hohe LDL-C-Werte zu normalisieren und dadurch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle zu senken – insbesondere bei Menschen, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten (sogenannte Sekundärprävention).

Doch Patienten sind oft unsicher bei der Einnahme, weil Berichte zu Muskelbeschwerden mit Statinen verbreitet sind. „Nehmen Patienten Cholesterinsenker ein und es kommt zu Beschwerden, sollten sie zeitnah mit ihrem Arzt sprechen. Er kann klären, was genau die Ursache der Beschwerden ist. Denn oft sind es gar nicht die Medikamente“, erläutert der Kardiologe und Lipidspezialist Prof. Dr. med. Ulrich Laufs vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. Im aktuellen Herzstiftungs-Podcast der Reihe imPULS unter www.herzstiftung.de/podcast-statine-schmerzen rät er zudem: „Auf keinen Fall sollten Betroffene eigenhändig ihr Statin absetzen oder die Dosierung reduzieren.“

Große Studien (1) haben gezeigt, dass nur ein sehr geringer Teil der Personen, die Statine einnehmen und von solchen Beschwerden berichten, diese tatsächlich nicht oder nicht in einer hohen Dosierung vertragen. „Neun von zehn Personen, die im Rahmen dieser Studien über Muskelbeschwerden berichten, können ein Statin einnehmen. Ihre Beschwerden waren nicht durch Statine verursacht“, so Prof. Laufs, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig.

„Wir nehmen die Beschwerden sehr ernst“ „Wenn ein Patient Beschwerden hat, nehmen wir das natürlich sehr ernst. Die berichteten Beschwerden werden nicht in Frage gestellt“, betont der Leipziger Kardiologe. Die Frage, die es gemeinsam mit Patientinnen und Patienten zu klären gelte, sei jedoch, ob die Statine tatsächlich die Beschwerden verursachen oder ob eine andere Ursache vorliegt. „Muskuloskelettale Beschwerden sind leider sehr häufig. Liegt es tatsächlich am Statin oder handelt es sich vielleicht um altersbedingte Beschwerden im Bewegungsapparat?“, so Prof. Laufs. „Es ist wichtig, sich mit den Patienten die Zeit zu nehmen, um das Problem zu klären, damit nicht die Einnahme der Lipid-senkenden Therapie gefährdet wird.“

Warum sind Statine bei erhöhtem LDL-C so wichtig? Überschüssiges LDL-C im Blut lagert sich in den oberen Schichten der Gefäßwand ein. Ein wesentlicher Mechanismus für das Entstehen einer Gefäßverkalkung (Atherosklerose), der über Jahre hinweg – gemeinsam mit anderen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder Rauchen – zum vollständigen Verschluss oder zum Aufplatzen von Kalkplaques mit nachfolgender Thrombose führt: Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) sind die Folge. Allein in Deutschland werden pro Jahr fast 200.000 Herzinfarkt-Patienten stationär in Kliniken versorgt.

Bei Muskelbeschwerden hilft meist Ausweichen auf anderes Statin Wenn es zu Muskelbeschwerden aufgrund eines Statins kommt, sind meist große Muskelgruppen wie Oberschenkel-, Schultergürtel- und Oberarmmuskulatur beidseitig betroffen. Frauen berichten häufiger als Männer von solchen Beschwerden. „Setzt man dann das Statin ab – dies unbedingt in Absprache mit dem Arzt –, dann gehen die Beschwerden in der Regel innerhalb kurzer Zeit zurück“, berichtet der Leiter der Lipid-Ambulanz am Leipziger Uniklinikum. Bei Beschwerden könne man zum Beispiel die medikamentöse cholesterinsenkende Therapie für zwei bis vier Wochen pausieren, um zu prüfen, wie es dem Patienten dann geht. „Eventuell kann man anschließend das Präparat wechseln, zum Beispiel von Simvastatin zu Atorvastatin. Man beginnt zunächst niedrig dosiert und erhöht dann die Dosis“, erklärt Prof. Laufs. Seine Erfahrung zeigt: Ärzte sollten sich stets Zeit nehmen, um Patienten die Bedeutung der cholesterinsenkenden Therapie zu erläutern. „Für die Behandlung der wichtigsten Risikofaktoren von Herzinfarkt und Schlaganfall wie Bluthochdruck, Diabetes und eben hohes LDL-C, brauchen wir langfristig ausgerichtete Therapien. Das verlangt den Patienten auch Vertrauen in die medikamentöse Therapie ab, denn der Erfolg ist ja nicht direkt erkennbar“, so Laufs. „Nur wenn wir mit den Patienten quasi in einem Boot sitzen, ist eine Behandlung erfolgreich“.

Kombinationstherapie als Alternative bei Statin-Unverträglichkeit Reicht die Statin-Dosierung, die ein Patient beschwerdefrei verträgt, für eine cholesterinsenkende Wirkung nicht aus, ist eine Kombinationstherapie möglich. Zum Beispiel kann das Präparat Ezetimib zusätzlich zum Statin gegeben werden, um bei geringerer Statindosis dennoch den LDL-C-Wert ausreichend zu reduzieren. Alternativ zu einem Statin steht als lipidsenkendes Therapeutikum auch Bempedoinsäure zur Verfügung, die ebenfalls mit Ezitimib kombiniert werden kann. Schließlich sind noch die PCSK9-Hemmer eine Option, insbesondere für Patienten, bei denen trotz einer optimalen cholesterinsenkenden Therapie mit Tabletten der LDL-C-Zielwert nicht zu erreichen ist. Infos unter www.herzstiftung.de/cholesterinsenker

Erhöhtes LDL-Cholesterin: Risiko immer individuell abschätzen Prof. Laufs, wie auch andere Kardiologen, betonen, dass für eine Behandlung bei hohen LDL-C-Werten immer die individuelle Person, also auch ihr Gesamtrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu betrachten ist. Ist zum Beispiel nur das LDL-C leicht erhöht? Oder liegen noch zusätzlich Risikofaktoren für Infarkte vor, die ebenfalls ein Handeln erfordern? Bei hohen LDL-C-Werten ist mit Lebensstilmaßnahmen allein nur wenig zu erreichen. Daher muss früher mit einer medikamentösen Therapie gestartet werden. „Wissenschaftlich am besten gesichert sind hierfür Statine“, unterstreicht Laufs. Dennoch sei ein gesunder Lebensstil generell für die Gefäßgesundheit wichtig, um das Infarktrisiko zu verringern. Bei lediglich leicht erhöhten LDL-C-Werten könne das Umstellen der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten reichen, um das kardiovaskuläre Risiko zu senken.

Lebensstil-Anpassung bei erhöhten Triglyzerid-Werten Bei erhöhten Triglyzerid-Werten steht hingegen der Lebensstil an erster Stelle. Wenn das nicht hilft, dann kommen erst Medikamente ins Spiel. Herzexperten und die Deutsche Herzstiftung empfehlen für die tägliche Bewegung 30 bis 45 Minuten Ausdaueraktivitäten wie Radfahren, Laufen, flottes Spazierengehen, Joggen oder Schwimmen. Für eine ausgewogene herzgesunde Ernährung raten manche Herzspezialisten zur Mittelmeerküche. Dieser werden positive Effekte zugeschrieben, die sich aber nicht an einer Senkung des Cholesterin-Spiegels ablesen lassen. Sie ist reich an frischem Gemüse, Obst, Salaten, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, Fisch, Nüssen, Kräutern und pflanzlichen Ölen (z.B. Olivenöl), die mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten. Insgesamt werden zudem nur wenige tierische Produkte genutzt. „Die Prävention durch eine Lebensstil-Anpassung – insbesondere die körperliche Aktivität und das Nicht-Rauchen - sollte in das Gesamtkonzept einer Fettstoffwechsel-Behandlung stets mit eingebunden werden. Arzt und Patienten sollten das gemeinsam besprechen“, rät der Herzstiftungs-Experte. Infos zur Mittelmeerküche, die fettarm und reich an ungesättigten Fettsäuren ist, sind unter https://herzstiftung.de/mediterrane-ernaehrung abrufbar.

Zweitmeinung vor dem Herz-Eingriff: Wann sinnvoll?

Jährlich unterziehen sich hunderttausende Herzpatienten einem Eingriff am Herzen per Herzkatheter (interventionell) oder chirurgisch. Beispielsweise dokumentiert der Deutsche Herzbericht zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit (KHK), der Grunderkrankung des Herzinfarkts, für das Jahr 2021 über 36.000 Bypass-Operationen und über 300.000 implantierte Gefäßstützen (Stents). Und für die kathetergeführte Verödung fehlerhafter Erregungsherde (Ablation) zur Behandlung von Vorhofflimmern sind für 2021 rund 103.000 Katheter-Ablationen zu verzeichnen (Deutscher Herzbericht 2022). Betroffene, denen ein vorausplanbarer Eingriff bevorsteht, können eine zweite ärztliche Meinung einholen, wenn sie an der Notwendigkeit eines Eingriffs Zweifel haben. „Bestimmte medizinische Entscheidungen sind eine Sache des Ermessens und Ärzte können ein und dieselbe Situation unterschiedlich beurteilen“, berichtet Prof. Dr. Thomas Meinertz vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung in einem Experten-Beitrag in der aktuellen Ausgabe von HERZ heute. „Ebenso wird den Patienten deutlich, wie häufig ärztliche Entscheidungen nicht übereinstimmen beziehungsweise voneinander abweichen“, so der Hamburger Kardiologe. In seinem Beitrag „Im Zweifel zum Zweiten“ in der Ausgabe 1/2024 von HERZ heute erläutert Meinertz, vor seiner Emeritierung langjähriger Ärztlicher Direktor des Universitären Herzzentrums Hamburg, wann es sinnvoll ist, die zusätzliche Einschätzung eines Arztes einzuholen und gibt wichtige Hinweise, worauf Herzkranke vor ihrem Eingriff achten sollten. Die HERZ heute-Ausgabe kann kostenfrei telefonisch unter 069 955128-400 oder unter www.herzstiftung.de/bestellung bei der Herzstiftung bestellt werden.

Zweitmeinung nur dann, wenn keine Zeitnot besteht Das Einholen einer ärztlichen Zweitmeinung, einer „second opinion“, nimmt seinen Ursprung mit der zunehmenden Spezialisierung und Differenzierung in der Medizin: Wenn für Diagnosen und Therapien mehrere „gleichwertige“ Vorgehensweisen verfügbar sind, ist die zweite Meinung immer häufiger gefragt. Nur dürfe sie auf keinen Fall eingeholt werden, wenn bereits Gefahr in Verzug ist, etwa bei einem akuten Koronarsyndrom oder einem Herzinfarkt. „Der Versuch, in einer derartigen Situation eine zweite Meinung einzufordern und auf diese Weise unnötig Zeit zu verlieren, kann für den Patienten tödlich enden“, warnt Meinertz. Eine Zweitmeinung sei nur dann von Nutzen, wenn ohne Zeitdruck schwerwiegende medizinische Entscheidungen für einen Patienten zu treffen sind, also etwa vor einer empfohlenen chirurgischen oder interventionellen Therapie.

Bei welchen Herz-Eingriffen ist die Zweitmeinung sinnvoll? Bei Herzpatienten kann das Einholen einer Zweitmeinung bei folgenden Eingriffen sinnvoll sein:

  • Perkutane koronare Intervention (PCI): ein Katheterverfahren, um verengte Herzkranzgefäße zu öffnen, oft wird gleichzeitig ein Stent eingebracht;
  • Bypassoperation: dabei wird chirurgisch eine Umgehung (Bypass) geschaffen, um verengte Blutgefäße zu überbrücken;
  • Operativer Ersatz von kranken Herzklappen;
  • Kathetergestützte elektrophysiologische Herzuntersuchungen und Ablationen (Verödungen) am Herzen;
  • Ersatz kranker Herzklappen mithilfe eines Katheters (interventionelle Klappentherapie, TAVI );
  • Einpflanzen eines Schrittmachers oder Defibrillators, kardiale Resynchronisationstherapie (CRT);
  • Operation angeborener Herzfehler;
  • Herz- oder Lungentransplantation;
  • Operation von Aortenaneurysmen.
Besonders kritisch sieht der Herzspezialist die Entscheidung zwischen operativer und interventioneller Therapie. „Wichtig ist, dass der um die Zweitmeinung Gefragte nicht von vorneherein auf eines der beiden Verfahren festgelegt ist.“ Ebenso entscheidend sei, dass der beratende Arzt dazu bereit ist, von einem operativen oder interventionellen Eingriff gegebenenfalls ganz abzuraten und stattdessen eine „konservative“ Behandlung, etwa mit Medikamenten, zu empfehlen. Im Alltag kaum praktiziert, obschon theoretisch möglich, wird das Einholen einer Zweitmeinung bei einer Herz- oder Lungentransplantation.

Die Kosten für eine ärztliche Zweitmeinung tragen die gesetzlichen Krankenkassen bei den gesetzlich vorgeschriebenen Indikationen. Darunter fallen im kardiologischen/herzchirurgischen Bereich die kathetergestützte elektrophysiologische Herzuntersuchung (EPU) und die Katheter-Ablation am Herzen, die Implantation von Schrittmacher, Defibrillator und CRT sowie ab Oktober 2024 die Operation von Aortenaneurysmen. Manche gesetzlichen Kassen bieten ihren Versicherten ein Zweitmeinungsangebot, das über die gesetzlich vorgeschriebenen Indikationen hinausgeht. Hierfür ist eine gezielte Nachfrage bei der eigenen Krankenkasse sinnvoll. Infos zur Richtlinie de Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA): www.g-ba.de/richtlinien/107/

Häufig wird nach dem besten Zentrum für einen Eingriff gefragt Bei der Empfehlung zur operativen oder interventionellen Therapie wird häufig auch danach gefragt, wo diese Therapie am besten erfolgen sollte. „Abgesehen von seltenen Fällen ist es schwierig, einzelne Zentren für eine medizinische Maßnahme zu empfehlen. Vielmehr sollten dem Anfragenden mehrere Zentren genannt werden, in denen eine empfohlene Therapie gut erfolgen kann“, rät Meinertz. „Selbstverständlich wird der beratende Arzt dabei seine eigenen Erfahrungen einbeziehen.“ Herzpatienten finden auf der Herzstiftungs-Homepage unter https://herzstiftung.de/arztsuche hilfreiche Links zu externen Stellen wie z. B. Kliniken mit Zertifizierungen für bestimmte medizinische Therapien oder Fachabteilungen über die Websites der Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK) und Kinderkardiologie/Angeborene Herzfehler (DGPK) oder für Herzchirurgie (DGTHG). Für Menschen mit angeborenem Herzfehler ist der Online-Suchdienst der Kinderherzstiftung „Dein Herzlotse“ unter https://herzstiftung.de/dein-herzlotse eine Hilfe bei der Arzt- und Kliniksuche.

Woher bekomme ich den richtigen Zweitmeinungsarzt? Die Auswahl des Spezialisten für die Zweitmeinung sollte nach dem Erkundigen durch den Patienten, beispielsweise bei den Krankenkassen oder Ärztekammern, erfolgen. Informationen über das Internet einzuholen, hält Kardiologe Meinertz für problematisch, „da hier positive Selbstdarstellungen eine entscheidende Rolle spielen“. Auch der primär behandelnde Arzt könne eine Empfehlung für einen Zweitmeinungsfachmann aussprechen. Dass der primär behandelnde Arzt dem um die Zweitmeinung angefragten Arzt relevante Befunde überlässt, ist das Recht des Patienten.

Diese No-Gos sind zu beachten Prof. Meinertz stellt in HERZ heute einige Szenarien vor, die Patienten bei einer Zweitmeinung beachten sollten. Hier ist eine Auswahl daraus:

  • Die Gefahr der Voreingenommenheit des Zweitmeinenden besteht, wenn der behandelnde Arzt einen befreundeten Spezialisten anruft, ihn über die Situation seines Patienten informiert und dem um eine zweite Meinung angefragten Arzt diejenige Empfehlung begründet, die er bereits gegenüber seinem Patienten abgegeben hat.
  • Nicht selten rät der primär behandelnde Arzt seinem Patienten davon ab, eine zweite Meinung einzuholen. Bittet der Patient um die Möglichkeit, eine Zweitmeinung einzuholen, sollte der behandelnde Arzt das dem Patienten nicht verweigern. In keinem Fall sollte der primär behandelnde Arzt einem Patienten seine Fürsorge entziehen, wenn dieser gegen seinen Rat eine Zweitmeinung einfordert.
  • In keinem Fall sollte der um die Zweitmeinung Gebetene sich selbst als weiteren Therapeuten anbieten.
Die Basis einer gelingenden Therapie ist das Vertrauen in den behandelnden Arzt. Eine Zweitmeinung kann und sollte im besten Fall dem Patienten eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung für die richtige Therapie sein, jedoch ihn nicht zusätzlich verunsichern und das Vertrauen in den Arzt erschüttern. „Was der Patient in jedem Fall vermeiden sollte: Nach der Zweitmeinung noch eine Dritt- oder Viertmeinung einzuholen. Das führt nicht selten zu einer kompletten Verunsicherung des Anfragenden“, so Meinertz. (wi)

04.07.2024 DGA | Quelle: Deutsche Herzstiftung e.V.



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